Während Andere in meinem Alter sesshaft werden, Häuser bauen und Kinder kriegen fange ich in Kanada noch einmal ganz von null an. Aber so richtig. Neue Arbeit, neues Land, neue Fremdsprache und neues soziales Umfeld. Und ich komme mit zwei Koffern. Nicht mal die geliebte Nähmaschine konnte ich mitnehmen. Ganz zu schweigen von Lisa, meinem Lieblingshuhn. Ja, man kann auch Hühner vermissen, wusste ich bis dato auch nicht. Obwohl man Katzen im Flugzeug ja auch mitnehmen kann, darf man das mit Hühnern? Weiß das jemand? Naja das ist ein anderes Thema… Mit zwei Koffern bin ich angekommen und fühle mich wieder wie eine Studentin. Ich habe Probleme eine Wohnung zu bekommen weil ich keine Kreditwürdigkeit in Kanada habe, was bei der Konkurrenz um Wohnungen nicht gerade vorteilhaft ist... Ich habe kein Auto oder Freunde mit denen man Möbel abholen kann... Und dann fängt man an alles wieder neu zu besorgen: Handtücher, Geschirr, Staubsauger, Wasserkocher, Kleiderbügel, Kissen, Stühle, Duschvorhang, auch ein bisschen Deko … alles was man in Deutschland ja eigentlich schon hatte. Ich fühle mich wieder wie damals als ich von zu Hause ausgezogen bin. Und etwas auf was ich auch hätte verzichten können … eine Fernbeziehung, aber gut, was tut man nicht alles wenn die Wissenschaft ruft.
Als ich überlegte eine Doktorarbeit anzufangen, hörte ich mal einen Vortrag über die Entscheidung für oder gegen eine Doktorarbeit. Es hieß, man sollte sich vor der Promotion seiner intrinsischen und extrinsischen Motivation bewusst sein um sich darauf in schweren Zeiten besinnen zu können. Und irgendwie passt das doch auf alle Entscheidungen im Leben bei denen es irgendwann irgendwie mal schwierig wird. Sich vorher darüber im Klaren zu sein, warum man das eigentlich macht, damit man sich daran erinnern kann wenn es anstrengend wird und die Zweifel kommen. Am Anfang war einfach alles anstrengend. Keinen Plan welchen Bus ich nehmen muss. Kann ich im Bus mit Bargeld zahlen? Alles fremd und neu und mein Französisch doch zu schlecht um die Nachfragen der Verkäuferin zu verstehen. Und dann komme ich auch noch im Januar – dem kältesten Monat in Québec. Warum habe ich mir das eigentlich angetan? Ach ja ich wollte die Herausforderung… naja die habe ich jetzt zumindest. Aber eigentlich war es die Arbeit. Ich hatte das Gefühl, dass Deutschland in meinem Wissenschaftsfeld der Forstgenetik ein bisschen hinterherhängt, oder andere Länder zumindest mehr Möglichkeiten bieten. Und naja, in Kanada trägt die Forstwissenschaft 25.2 Milliarden kanadische Dollar zum BIP bei und demzufolge ist auch mehr Geld für die Forschung da (1). In meiner Doktorarbeit habe ich oft Publikationen der Kanadier gelesen und war von deren Forschung begeistert. Als ich dann die Möglichkeit bekam hier als Postdoc anzufangen habe ich nicht lange gezögert. Ich glaube so eine Chance bekommt man kein zweites Mal. Naja und ohne Kinder und Haus ist es auch wesentlich einfacher schnell mal auf einen anderen Kontinent zu ziehen. Und mein Freund, naja der war zum Glück nicht abgeneigt von der Idee. Ich meine wo kann er mehr seiner Jagd- und Angelleidenschaft besser fröhnen als hier?! Aber weil es bei ihm etwas länger dauert, habe ich mein kleines Abenteuer schon mal ein bisschen eher gestartet.
Jetzt habe ich also eine Wohnungsbesichtigung nach der Anderen und tingel durch Second-Hand-Läden um meine Wohnung einzurichten. Auf Arbeit wirke ich an einem Projekt mit, bei dem ich das Gefühl habe die Welt wirklich ein Stück weiter zu bringen, auch wenn es nur ein Ministück ist. Außerdem habe ich die Chance eine neue Sprache zu lernen und die Möglichkeit jedes Wochenende was Neues zu entdecken … 😊
(1) https://www.nrcan.gc.ca/our-natural-resources/forests/state-canadas-forests-report/how-do-forests-benefit-canadians/16509 abgerufen am 05.02.23 17:02
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